Sendetermin: 13. Mai 2016, 20:15 ARD
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Conny Klein
Hintergrundfoto: Robert von Thayenthal
REGIE: Ingo Rasper
DARSTELLER: David Rott, Max Hegewald, Cosima Schröder, Anna Thalbach u.v.a.
PRODUZENT: Thomas Teubner / Provobis
REDAKTION: Katja Kirchen (DEGETO), Franka Bauer (MDR)
Eric (David Rott) liebt sein unabhängiges Leben in Berlin ohne Verpflichtungen. Von einer gemeinsamen Zukunft haben er und seine Freundin Verena (Anna Thalbach) unterschiedliche Auffassungen. „Vater sein, das kann ich nicht, dafür bin ich nicht geschaffen“, das ist bei dem Enddreißiger nicht nur ein Spruch. Als sein Bruder (Roman Knizka) stirbt und ihm zwei Kinder „hinterlässt“, fühlt sich Eric in seiner Überzeugung bestätigt – sprich: sofort überfordert. Der 16jährige Nico (Max Hegewald) behandle ihn wie den Mörder seines Vaters und die 11jährige Leonie (Cosima Schroeder) sei im Hungerstreik, bringt der Vormund die Lage ironisch auf den Punkt. Erschwert wird der familiäre Verlust durch die unsichere Zukunft. Der Hof ist verschuldet, die Molkerei zockt alle Milchbauern der Gegend weiter ab und die Mauscheleien, um EU-Förderungsgelder zu bekommen, sind ein offenes Geheimnis. Der sture Nico versucht, mit Stallarbeit den Schock zu verdauen, will auf dem Hof bleiben und auf keinen Fall von seiner Schwester getrennt werden. Eric will den unrentablen Hof eigentlich so schnell wie möglich abwickeln, doch dann erwacht das (Kämpfer-)Herz in ihm. (Rainer Tittelbach)
Ausgezeichnet gespielt, fesselnd inszeniert - und warum dieser Film sonst noch einer der besten Freitagsfilme ist.
Filme dieser Art drehen sich im Kern um das Erwachsenwerden und das Bewusstwerden von Verantwortung, hier konzentriert auf Eric. Das Drehbuch hat das hier sehr anschaulich und glaubwürdig umgesetzt: Eric lernt dazu, aber er darf dennoch zum Großteil er selbst bleiben und muss sich charakterlich nicht um 180 Grad drehen. David Rott zeigt als Eric denn auch mit reduziertem, aber sehr präzisem Spiel. Ihm gelingt es bemerkenswert genau, die Balance zwischen widerstrebendem Verantwortungsgefühl und der Lust nach Freiheit und Vergnügen auszudrücken, die in Eric als Gegenpole angelegt sind.
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Der Hintergrund mit Mauscheleien um Fördergelder und Milchquote erscheint demgegenüber austauschbar, zumal die Milchquote bereits Ende März 2015 auslief (der Film entstand bereits 2014). Dennoch hat das Drehbuch die Probleme der modernen Landwirtschaft geschickt und sogar mit einiger Ironie in die Handlung eingebaut, ohne dabei das Thema übermäßig in den Vordergrund zu rücken: So findet Christoph sein Ende ausgerechnet unter dem Anhänger eines Milchwagens. Dass Nico den Tod seines Vaters in Sichtweite miterleben muss, verleiht der Figur eine starke emotionale Tiefe und dem Film zugleich eine hohe Grundspannung..
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Man fühlt es, wie viel Unausgesprochenes es zwischen den beiden Brüdern gegeben haben muss, wenn Eric bei seinem Neffen erstmal auf eisige Ablehnung stößt. Max Hegewald macht sich besonders gut als Teenager mit Ecken und Kanten. Die Regie findet genau das richtige Tempo. Der ruhige Erzählverlauf ist keine Zeitschinderei, sondern widmet sich in den richtigen Momenten den passenden Details. So wenn Onkel und Neffe in die Kirche kommen, in der Christophs Leiche aufgebahrt liegt: Allein in dem ängstlichen Seitenblick von Eric zu seinem Neffen liegt mehr Spannung als in manchem "Tatort"-Krimi von diesem Jahr.
Ein Erwachsener, dem es schwer fällt, Verantwortung zu übernehmen, und ein Kind sowie ein Halbwüchsiger, die freiwillig die erwachsene Rolle annehmen – das ist die Geschichte hinter der Geschichte von „Die Kinder meines Bruders“, die das Autorenduo Josephin und Robert von Thayenthal problemorientiert und doch unaufdringlich erzählt. Ein Sohn, der dabei zusehen muss, wie sein Vater vor dessen Augen vorsätzlich in den Tod fährt – das ist eine Bürde, die der Film trotz ARD-Freitagssendeplatz nicht klein redet. Der Schmerz der Kinder, der Held, der ein wenig nachdenklich wird, was das Nicht-Verhältnis zu seinem Bruder und dessen Kindern in den letzten Jahren angeht und aus dem erst bei der Beerdigung die Gefühle herausbrechen, seine heutige Berliner Anti-Haltung zum Thema Familie: Die psychologischen Nuancen finden ausreichend und vielschichtig Platz in den 90 Filmminuten. Dass die Hauptfigur nicht nur stellvertretend die Vaterrolle einnehmen muss, sondern auch noch biologisch Vater wird, gehört offenbar zur Semantik einer solchen Geschichte, die doppelt „aufgeladen“ sein muss, besitzt aber selbstredend auch eine dramaturgische Funktion: Jener Eric bekommt gleich zwei Mal die Möglichkeit, die Veränderung seines Lebensstils zum Ausdruck zu bringen. Da das aber in einer sympathischen Offenheit in Szene gesetzt wird, die auch ganz diesem locker-liebenswerten Helden entspricht, ist das alles andere als ein Manko.
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„Die Kinder meines Bruders“ findet von Anfang an einen stimmigen Erzählton, in dem die Landschaft, das Landleben, das Leichte, das Schwere und die höhere Politik gleichermaßen aufgehen. Die Schauspieler treffen die entsprechenden Tonlagen perfekt: David Rott als eigensinniger Schwiegermutter-Schwarm besticht vor allem durch den hohen „Natürlichkeitsfaktor“ seiner Kommunikation und Max Hegewald macht als Problembursche eine gewohnt gute Figur. Selbst die Nebenfiguren, diese bunte Dorfmischpoke, verstehen es, ihre Stichwortgeberrollen recht markant zu füllen. Und dann ist da ja noch die Inszenierung. Im Zweifelsfall setzt Regisseur Ingo Rasper („Reine Geschmackssache“) auf ein starkes Bild: eine Umarmung zwischen Onkel und Neffe zur rechten Zeit; der traurige Abschied der Nichte in Richtung Heim; die Milch, die aus den geöffneten Milchtanks sprudelt, eine eindringliche Metapher für den Widerstand, für den Preiskampf zwischen Molkereiwirtschaft und Milchbauern und zugleich ein ironisches Sinnbild für die prophezeiten „blühenden Landschaften“, hier quasi biblisch umgemünzt zum „Land, darin Milch und Honig fließt“. Schönste und sinnlichste Szene des Films: Der langsam erwachsen werdende Eric und der viel zu pragmatisch denkende Nico auf dem Heimweg vom Leichenschmaus; in einer einzigen Einstellung schlendern sie nebeneinander durch die Landschaft – es ist der Versuch einer Annäherung, ein Gedankenaustausch über Träume, in dem sich das Weltbild des 16-Jährigen erschreckend spiegelt: Sein Traum ist es, genug Geld zu haben, um einen Melker einzustellen.